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Abstrakte Fotografie

Aber das sind ja nur 3 Steckdosen

Ein kritischer Bericht zum Thema: "Kann Fotografie Kunst sein?"

3 Steckdosen
3 Steckdosen

Fotografische Perspektive, Bildaufbau, Farben und Formen

 

In der Fotografie gab es immer schon den Wunsch nach Echtheit des Fotos. Viele Menschen fordern unverfälschte, nicht manipulierte Fotos, eben die Abbildung der Realität. Diesen Wunsch kann ich zumindest in der Fotoreportage nachvollziehen. In allen anderen Bereichen der Fotografie, würden sich aber die Betrachter wundern, wie langweilig so manches Foto wirken würde, wenn man sich nicht auch kreativ mit dem Motiv auseinandersetzt und Bildaufbau, Aussagekraft von Formen und Farben miteinplanen würde und eventuell das Foto auch in einer Bildbearbeitungs-Software nachbearbeiten würde.

Darüber hinaus behaupte ich, dass durch die Fotografie an sich niemals eine originalgetreue Abbildung der so genannten Realität geschaffen werden kann. Jeder Mensch sieht die Welt mit seinen Augen und die Fotokamera ist kein Auge, sondern belichtet in Bruchteilen von Sekunden bzw. zeigt nur einen Ausschnitt eines Motivs. Die Welt wird dadurch eingefroren. Wir Menschen haben gar nicht die Möglichkeit, die Wirklichkeit so wahrzunehmen, wie ein Foto-Apparat. Die Software ist heute die digitale Dunkelkammer. Die digitale Fotokamera ist der Pinsel für Fotografen.

 

Abstrakte oder experimentelle Fotografie

 

Wenn Fotografen zu kreativen Künstlern werden, ist alles erlaubt, was gefällt. Oft sehe ich es Foto-Amateuren in meinen Seminaren und Foto-Workshops an, dass sie nicht wissen, was sie fotografieren sollen. Dabei gibt es immer und überall Motive, die man bearbeitet, ausgearbeitet oder gedruckt im Großformat an die Wand hängen kann. Fertig wäre das Kunstwerk. Wichtig ist es hinzuschauen und sich viel zu bewegen, um die interessante Perspektive zu suchen oder alles mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Die Schönheiten der Farben und Formen dieser Welt kennenlernen und sie ins richtige Licht setzen. Abstrahieren Sie ruhig mal die Realität, um neue Ansichten und Bildaussagen zu schaffen.

Was sehen Sie in diesem Bild?
Was sehen Sie in diesem Bild?

In der Malerei ist alles möglich und erlaubt - in der Fotografie ebenfalls!

 

Niemand käme heute auf die Idee abstrakte oder moderne Malerei (Impressionismus, Expressionismus, Popart, usw.) nicht als Kunstwerk gelten zu lassen. Warum sollte man das dann in der Fotografie tun?

 

Was sehen Sie auf dem Foto? Nervenbahnen? Blutgefäße? Äste eines Baumes? Aber es geht nicht nur darum, was Sie sehen, sondern auch darum welche Gefühle ein Foto beim Betrachter auslöst.

 

Diese Aufnahme entstand an einem kalten, grauen Wintertag zu Beginn der Abenddämmerung im Nationalpark Donau-Auen in Wien. Die Stimmung und vor allem das Licht war wirklich nicht animierend. Der Bildausschnitt, die Unschärfe und die Lichtspiele, die später am Computer hinein kopiert wurden schaffen das Kunstwerk aus einer, auf den ersten Blick, langweiligen Situation.

Sonne
Sonne

Abstrahieren durch Reduktion des Bildausschnitts und Farben

 

Die Sonne und der blaue Himmel machen Lust auf Sommer. Durch die Reduktion auf ganz wenige Farben (gelb, hellblau und dem nebelartigen Übergang von gelb zu blau) wirkt das Foto sehr plakativ und auf die Aussage "Summer-Feeling" reduziert.

 

Jedes weitere Bildelement würde von dieser Aussage nur ablenken und würde die Bildaussage schon wieder verändern. Nehmen wir an ein Blatt einer Plame würde noch teilweise in das Bild hineinragen, dann wäre die Aussage vielleicht schon "Urlaub".

 

Übrigens haben Sie recht, wenn Sie denken, dass es gar nicht möglich sei, direkt in die Sonne zu fotografieren. Deshalb fotografierte ich in der Nacht den Mond und durch die Bildbearbeitung kann auch der Mond zur Sonne werden. Stellen Sie sich das Foto an einer weißen Wand vor, das bringt doch den Sommer in den Raum.

Grado, Italien
Grado, Italien

Allerdings muss man nicht immer Fotos bearbeiten oder verfremden, um eine Reduktion auf die wesentliche Bildaussage zu erreichen. Weniger ist oft mehr, in diesem Beispiel ist es mehr Meer, besser gesagt, die Endlosigkeit des Meeres, die ein Mensch fühlt, wenn er aufs Meer hinaussieht. Jedes Motiv im Vodergrund positioniert, würde bildbestimmend werden und damit die Bildaussage "Endloser Meeres-Horizont" zu nichte machen. Die nach hinten in die Bildmitte verlaufenden Perspektiven-Linien des Holzbodens verstärken die Aussage und rücken den Meeres-Horizont in die Ferne. Wir Menschen wissen, dass sich Holz warm anfühlt und die Lebens-Erfahrung spüren wir auch aus Bildern heraus. Ohne dem Holz würden die Blautöne vom Meer und vom Himmel ein kühles Gefühl vermitteln. Man könnte die frische Brise des leichten Windes spüren.

Trauen Sie sich. Testen Sie. Experimentieren Sie.

 

Natürlich muss man sich auch in der digitalen Fotografie und Bildverarbeitung Wissen aneignen, um Kunstwerke zu schaffen. Der Künstler muss seine Werkzeuge kennen und beherrschen, um die Ideen im Kopf in Bilder umzusetzen.

 

(c) Harald Mizerovsky

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